Die Verlockungen des Internets…

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In letzter Zeit sahen wir uns immer wieder mit Werkstattanfragen für online gekaufte Fahrräder konfrontiert. Tatsächlich klingt der Fahrradkauf im Internet verlockend: Die Rahmengröße einfach anhand der Körpergröße ermitteln, auf den Bestellbutton drücken und zwei Werktage später bringt der Paketdienst das Wunschrad nach Hause. Nur noch Lenker gerade drehen, Vorderrad und Sattelstütze montieren und es kann losgehen! Schön wäre es… ungeduldig? nach unten springen!

Teilmontiert bedeutet Nacharbeit

Der Auslieferungszustand der meisten Räder lässt sich relativ gut mit “teilmontiert” beschreiben. Zur Endmontage müssen meist auch Laufräder zentriert werden, Bremsen und Schaltungen werden von Transportsicherungen befreit und eingestellt. Zug- und Kabelverlegungen müssen geprüft und oft verbessert werden. Schraubverbindungen ziehen wir mit Drehmomentschlüssel und gegebenenfalls Spezialwerkzeug nach. So eine Endmontage dauert meist ein bis anderthalb Stunden, bei gut vormontierten Rädern gelegentlich etwas weniger, aber ausgerechnet bei sehr billigen Rädern ist der Aufwand mitunter deutlich größer: Da müssen schonmal sämtliche Lager nachgefettet und eingestellt werden.

Kalkulation Online vs. Händler vor Ort

Diese “gesparte Endmontage” ist die größte Kostenersparnis im Onlinehandel, ein weiterer Posten ist die Lagerhaltung: Wir bieten Ihnen nicht nur die Möglichkeit, ein Rad in verschiedenen Größen Probe zu fahren, sondern auch eine Auswahl aus ähnlich gestrickten Rädern. Bei der Probefahrt werden Sie schnell feststellen, dass eben nicht nur die Körpergröße zählt. Fahrer mit kurzen Beinen und längerem Oberkörper benötigen kleinere, lange Rahmen und umgekehrt.

Aber man kann ja das online bestellte Rad zurückgeben? Klar, aber lesen Sie vor dem Kauf das Kleingedruckte: Nach der Novelle des Fernabsatzgesetzes von 2014 kann der Händler Rücksendekosten unabhängig vom Kaufpreis auf den Kunden abwälzen, beim einige Kilometer gefahrenen Rad werden zudem manche Online-Händler eine Nutzungsentschädigung abschlagen und nicht den vollen Kaufpreis zurückerstatten. Alleine Rücksendekosten können schnell 45€ ausmachen – Hermes stellt 6€ für den Karton in Rechnung, wenn der originale bereits entsorgt wurde.

Passend von Anfang an

Dabei ist es oft einfach, ein “fast perfekt” passendes Rad perfekt an den eigenen Körper anzupassen: Oft genügt ein anderer Vorbau oder Sattel (beides kann vor dem endgültigen Kauf bei uns auch mal Probe gefahren werden) – und derartige Änderungen stellen wir nur dann in Rechnung, wenn das ausgetauschte Teil nun höherwertiger ist. Unter dem Strich ist so der Weg zum Wunschrad schneller und direkter als bei der Bestellung vom Sofa aus.

Klar, online bleibt

Wir sind nicht so töricht, zu behaupten, dass online nicht auch den Fahrradhandel beeinflußen wird. Aber die Entwicklung der großen reinen Fahrrad-Online-Shops zeigt auch, dass der erfolgreichste einer ist, der sich komplett aus dem sehr günstigen Segment zurückgezogen hat. Stattdessen verkauft er unter Eigenmarke individuell zusammengestellte Räder an eine Kundschaft, welche die Geometrie ihrer bisherigen Räder exakt kennt, selbst weiss, wo ein Zentimeter mehr besser wäre und Kleinigkeiten wie das Nachjustieren einer Schaltung selbst erledigen kann. Wesentlich billiger als der Einzelhändler vor Ort ist er damit nicht…

Auch einige unserer Markenhersteller reagieren auf den Online-Boom und bieten eine gute Kombination aus Online-Konfiguration und Endmontage und Abholung beim Händler vor Ort – bei uns. Unserer Meinung sieht so die wahre Online-Zukunft im Fahrradhandel aus: Eine Beratung in Detailfragen kann durch den ausliefernden Händler stattfinden, die Qualität der Endmontage bleibt und unsere Lagerhaltung ist etwas geringer.

Endmontage auch für fremde Räder

Stellt sich beim online bestellten Fahrrad raus, dass die Schaltung hakelt oder die Bremse schleift, helfen wir natürlich. Wir setzen darauf, Sie mit guter Werkstattleistung davon überzeugen zu können, künftig im Fachhandel zu kaufen. Aber: Da wir für unsere Arbeit haften müssen, läuft die Endmontage nach exakt demselben Schema ab, wie bei von uns im Laden verkauften Rädern. Das bedeutet, dass Sie in der Regel etwa ein bis anderthalb Stunden Werkstattarbeitszeit als Kosten kalkulieren müssen und sich auf dieselben Wartezeiten wie bei normalen Reparaturen einrichten sollten. Nur schnell mal die Schaltung einstellen ist nicht, da sich erfahrungsgemäß auf der ersten Probefahrt oft weitere Montagemängel zeigen.

Bitte haben Sie auch Verständnis dafür, dass wir das endzumontierende Fahrrad vor der Annahme sehen wollen. Aufgrund des Haftungsrisikos werden wir sehr billige Fahrräder (“Baumarkträder”) auch mal ablehnen und in Einzelfällen kann der Kostenvoranschlag auf zwei Stunden ausfallen.

Daher noch ein Tipp: Bei wirklich miserabel montierten Fahrrädern aus Online-Bestellungen sollten Sie nicht die Karte “Rücktritt vom Kaufvertrag gemäß Fernabsatzgesetz” ziehen (da tragen Sie mitunter Rücksendekosten), sondern einen Sachmangel anmahnen. Da die wenigsten Online-Händler qualifiziertes Werkstatt-Personal für die vom Gesetzgeber vorgesehene Mängelbeseitigung beschäftigen, wird der Händler von sich aus den Rücktritt vom Kaufvertrag und Übernahme der Rücksendekosten anbieten. Ein paar Tage später ist das Geld wieder auf Ihrem Konto und der Weg frei für den Kauf beim Fachhändler – ganz ohne Werkstattwartezeit fürs lang ersehnte Rad. Den Karton für die Rücksendung schenken wir Ihnen übrigens…